A. F. Ruppert, Molkereimeister
Aus der heutigen Ernährung sind die Milcherzeugnisse,
wie Sauermilchprodukte und Desserts nicht mehr wegzudenken, da sie sich durch
ihre leichte Verdaulichkeit und auch durch ihre Bekömmlichkeit bei den
Verbrauchern großer Beliebtheit erfreuen. Der steigende Umsatz dieser
Produkte in allen Industrieländern in der Nachkriegszeit und die heutigen
Marktverhältnisse mit den damit verbundenen übergebietlichen Absatzmärkten
veranlassten die Molkereien, nach Herstellungsmethoden zu suchen, die durch
veränderte Arbeitsweisen zu unproblematischen Produkten führten,
die den Forderungen des Handels und der Verbraucher gerecht werden. Nicht
nur die Technologie für die Herstellung dieser Milcherzeugnisse erfuhr
in den letzten Jahren revolutionierende Änderungen. Auch durch den Einsatz
verbesserter spezieller Lactobazillenkulturen (Biogarde-Spezialkulturen)
konnte eine enorme Haltbarkeitsverbesserung und pH-Konstanz erzielt werden,
da die Anwendungstechnologie heute in vielen Molkereien voll beherrscht
wird. Die ganz modernen Herstellungsmethoden sind besonders geeignet, Milcherzeugnisse
zu produzieren, die einen enormen Qualitätsstandard aufweisen. Zu dieser
Qualitätsverbesserung führte nicht zuletzt der Einsatz von Hydrokolloiden,
insbesondere durch die Verwendung von Speisegelatine, ohne die solche Produkte
kaum produziert werden könnten.
WIRKUNGSWEISE DER GELATINE IN MILCHPRODUKTEN
Speisegelatine ist durch stufenweise Extraktion
vorzugsweise aus den Bindegeweben von Rindern, Kälbern und Schweinen
gewonnenes tierisches Eiweiß (siehe den später folgenden Artikel
in diesem Heft). Die Kettenmoleküle der Gelatine sind wie bei anderen
Eiweißstoffen aus Aminosäuren aufgebaut. Das innere Gefüge
eines Milchproduktes wird durch die Einlagerung der langgestreckten, spiralförmigen
Gelatinemoleküle gefestigt und somit das Zusammenballen des Caseins
und der damit verbundene Molkenaustritt verhindert. Eine besonders stabile
Struktur wird durch den Einsatz von Gelatine mit sehr hoher Gallertfestigkeit
- sprich Bloomwert - erreicht. In der Milchwirtschaft sollten aus dieser
Sicht alkalisch aufgeschlossene Gelatinesorten mit 200 bis 250 Bloom Verwendung
finden, da bei diesen der isoelektrische Punkt bei einem pH um 5,0 liegt
und somit dem isoelektrischen Punkt des Milcheiweißes nahe kommt. Weitere
vorteilhafte Eigenschaften der Gelatine sind die damit erreichbare Konsistenzverbesserung,
die Zungenglätte und die Geruchsneutralität. Die Herstellung von
Milcherzeugnissen wird in den Betrieben noch unterschiedlich vorgenommen,
sodass auch die verwendeten Hydrokolloide individuell mitzuverarbeiten sind.
Es darf folgendes gesagt werden:
1. Die Herstellung von Sauermilcherzeugnissen
und Desserts nach herkömmlicher Art als offenes System, wie sie von
den meisten Betrieben noch angewandt wird
Hierbei sind in der Regel die Erzeugnisse mit
Fremdkeimen kontaminiert, die die Qualität der Produkte entscheidend
negativ beeinflussen können. Unter Fremdkeimen sind alle Keime, außer
den evtl. für die Gärung zugesetzten spezifischen Milchsäurekulturen
zu verstehen. Bei dieser Produktionsweise ist es erforderlich, um ein einwandfreies
Produkt herstellen zu können, für eine weitgehendste Eliminierung
von Re-Infektionen durch eine bakteriologisch saubere Arbeitsweise zu sorgen.
Deshalb ist es wichtig, dass die hier verarbeitete Speisegelatine besonderen
Reinheitsvorschriften entspricht.
2. Die Herstellung von thermisierten Sauermilcherzeugnissen
und Desserts
Diese Methode beruht auf der guten keimabtötenden
Wirkung von Hitze, auch im sauren Bereich. Es ist jedoch wichtig, bestimmte
Faktoren zu beachten, die es ermöglichen, die Caseingallerte pasteurisierfähig
zu machen. Dazu gehören u. a. eine ausreichend hohe Erhitzung der Ausgangsmilch,
die Verwendung eines entsprechenden Hydrokolloids in bestimmter Konzentration,
ein pH-Wert bei gesäuerten Produkten unter 4,5 sowie die vom pH-Wert
abhängige erforderliche Pasteurisierungstemperatur. Auch der Fettgehalt,
der Caseingehalt, der Zuckergehalt und der Gehalt an sonstigen Zusatzstoffen
sind bei der notwendigen Wärmebehandlung im süßen und auch
sauren Bereich von großer Wichtigkeit. Pasteurisierte und heiß
abgefüllte Sauermilcherzeugnisse sowie Desserts sind bezüglich
einer mikrobiellen Beeinflussung im Vertrieb unproblematisch. Fehler in der
Konsistenz entstehen meistens bereits im Stadium der Herstellung, wenn einmal
der der vorgeschriebenen Temperatur entsprechende pH-Wert nicht erreicht
ist oder zum anderen falsche Hydrokolloide verwendet werden, so dass es zu
Entmischungen der Gallerte kommt, obwohl die Erzeugnisse in bakteriologischer
Hinsicht einwandfrei sind. Die Verwendung von Speisegelatine bei der Herstellung
von pasteurisierten Milcherzeugnissen in Kombination mit anderen Hydrokolloiden
ist hier doch sehr empfehlenswert, da z.B. die gute Verträglichkeit
von Gelatine und Stärke bekannt ist. Die Verarbeitung mit anderen Hydrokolloiden
ist sehr stark vom pH-Wert des Gelatinetyps und von den Mischungsverhältnissen
abhängig, so dass sich diese Arbeitweise zum Teil schwierig gestaltet
und es oft beim Produkt zu Koazervationen kommt. Durch umfangreiche Forschungsarbeiten
ist die Technologie zur Herstellung der pasteurisierten Milchprodukte inzwischen
weitgehendst gelöst. In den Betrieben werden heute meist zwei Verfahren
angewandt, die die Sicherheit bieten, dass damit haltbare Sauermilcherzeugnisse
und süße Desserts hergestellt werden. Diese Verfahrenstechniken
wurden jedoch nur durch den Einsatz von Hydrokolloiden, insbesondere von
Gelatine, ermöglicht, obwohl das zusätzliche Einbringen der Stabilisatoren,
die für die Qualität, das Gefüge und die Viskosität von
Wichtigkeit sind, oft große Schwierigkeiten bereitet. Die beiden in
Frage kommenden Herstellungsmethoden sind:
a) Die Pasteurisierung in den bekannten Erhitzungsanlagen mit anschließender
Heißabfüllung.
b) Das pasteurisierte Produkt wird nach der Erhitzung gekühlt und infektionsfrei
abgefüllt.
3. Haltbarkeitsverlängerung bei der Produktion
von Frischerzeugnissen durch keimarme und aseptische Arbeitsweise
Der Produktionsweg wird heute bereits von einigen
Betrieben im Bundesgebiet mit Erfolg beschritten und dürfte zukünftig
das System zur Herstellung von qualitativ, insbesondere geschmacklich optimalen
Milcherzeugnissen sein. Die Beeinträchtigung der Produkte durch bakteriologisch
bedingte Fehler sowie die geschmacklich nachteilige Auswirkung der Hitzebehandlung
ist hier ausgeschaltet. Durch den Einsatz von Spezialkulturen, wie es die
BIOgarde-Kulturen darstellen, ist das Problem der Nachsäuerung und des
Bitterwerdens bei aseptisch und keimarm abgefüllten Milcherzeugnissen
gelöst. Die damit hergestellten Produkte bleiben pH-konstant und auch
bei Nichteinhaltung der Kühlkette im optimalen Geschmacksbereich.
Für die Herstellung von haltbaren süßen
Milchdesserts ist eine vollaseptische Arbeitsweise mit Ultrahocherhitzung
nicht zu umgehen, um Infektionen mit Sporenbildnern auszuschalten, die zum
Verderb der Enderzeugnisse führen. Auch die sich anschließende
infektionsfreie Abfüllung ist zwingend, damit die Haltbarkeit der Endprodukte
gewährleistet ist.
Im Gegensatz dazu ist bei der Produktion von gesäuerten
Milcherzeugnissen eine keimarme Arbeitsweise völlig ausreichend, da
Sporenbildner im sauren Bereich das Fertigprodukt nicht nachteilig beeinflussen
können. Um keimarm arbeiten zu können, ist die infektionsfreie
Herstellung der Säuerungskulturen erforderlich und es ist jegliche Infektion
mit Hefen und evtl. auch Schimmelpilzen in der gesamten Anlage von der Bereitung
der Milch an bis zu den versiegelten Bechern zu vermeiden. Der Engpass lag
bei diesen Methoden in den letzten Jahren auf dem Gebiet der Abfüllanlagen.
In der Zwischenzeit werden nun neben voll aseptisch arbeitenden Abfüllmaschinen
auch solche, die keimarm abfüllen angeboten. Diese Maschinen sind wesentlich
billiger, so dass die bisher sehr hohen Investitionskosten durch Spezialbehälter,
Sterilluftanlagen und ähnliche Einrichtungen nicht unerheblich gesenkt
werden können. Die nach den hier aufgeführten Verfahren aseptisch
oder keimarm abgefüllten Erzeugnisse sind in bakteriologischer Hinsicht
somit über einen längeren Zeitraum haltbare Frischerzeugnisse.
Eine optimale Qualität ist in Bezug auf die
Konsistenz der Produkte nur durch den Einsatz von Speisegelatine und anderen
Hydrokolloiden erreichbar. Die hier aufgezeigten Herstellungsmethoden bei
der Produktion von sauren Milcherzeugnissen und süßen Desserts
verdeutlichen, dass der Einsatz von Hydrokolloiden, insbesondere von Speisegelatine,
für die Produktion von qualitativ optimalen Produkten unbedingt zwingend
erforderlich ist. Ein technologisch richtiger, verfahrenstechnisch und wirtschaftlich
doch bestmöglicher Einsatz sowie eine zweckmäßige Auswahl
und ein vernünftiger maßvoller Gebrauch der verfügbaren,
behördlich zugelassenen Hydrokolloide sollte bei der Herstellung solcher
Produkte für jeden Fachmann von Wichtigkeit sein. Die Erfahrungen der
letzten Jahre haben gezeigt, dass in der Milchwirtschaft als Dickungsmittel
vorwiegend Speisegelatinesorten Verwendung finden, da die unproblematische
Verarbeitung der Verfahrenstechnik in den Molkereien weitgehend entgegenkommt.
Allerdings muss hier einschränkend gesagt werden, dass trotz dieser
Tatsache die Verarbeitungstechnik und die verschiedenen Möglichkeiten,
die die Verarbeitung von Speisegelatine dem Fachmann doch bietet, nicht ausreichend
bekannt sind, so dass es evtl. zu Fehlproduktionen kommen kann. Beim Einsatz
der Gelatine sind in jedem Fall die technischen Produktionsanlagen zu berücksichtigen.
Allein beim Auflösen der Gelatine in Wasser
oder wässriger Lösung wie z.B. Milch, können schon Schwierigkeiten
auftreten, wenn das Mischungsverhältnis und die Temperatur nicht entsprechen.
Bei der Herstellung der Gelatine-Lösung sollte man so verfahren, dass
die Lösung in kaltem Wasser oder kalter Milch im Verhältnis 1:5
bis 1:10 unter kräftigem Umrühren bei der Zugabe der Gelatine erfolgt.
Nach ca. 15 Minuten ist die Gelatine aufgequollen, bei Temperaturen oberhalb
40°C löst sie sich leicht und schnell auf und ist dann ganz unproblematisch
weiterzuverarbeiten. Da das Gelatine-Eiweiß keine Milchreaktivität
besitzt und somit die Bebrütung nicht stört, kann der Zusatz in
allen Stadien der Herstellung und zwar schon zur Kesselmilch, während
der Heißhaltung oder auch nach der Bebrütung erfolgen.
Nicht nur die richtige Verarbeitung der Gelatine
bei der Herstellung von Milcherzeugnissen gibt die Garantie für ein
einwandfreies Fertigprodukt, sondern auch die Qualität der zu verarbeitenden
Gelatine ist dabei von ganz besonderer Bedeutung. Sehr oft werden unter Umständen
wegen der Preisabstufungen "mindere" oder "billige" Qualitäten verarbeitet,
so dass es dann wegen der zu geringen Gallertfestigkeit oder wegen der zu
hohen Gesamtkeimzahl der Gelatine zu nicht befriedigenden Ergebnissen kommt.
Für die Herstellung von Milchprodukten sollte deshalb Speisegelatine
verarbeitet werden, die eine hohe Gallertfestigkeit bzw. einen Bloomwert
von 200 bis 250 hat, da die Gelierkraft insbesondere bei der notwendigen
Wärmebehandlung eines der wichtigsten u. bestimmenden Qualitätsmerkmale
einer guten Gelatinesorte darstellt. Die Bloomzahl, die Viskosität,
der Erstarrungspunkt, die Farbe, der Geruch und der Geschmack sind für
eine Qualitätsgelatine von wesentlicher Bedeutung.
Auch die Reinheitsvorschriften für Speisegelatine,
wie sie von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Fremdstoff-Kommission
gefordert werden, sollten vom Hersteller aus Voraussetzungen für die
Belieferung mit Qualitätsgelatine schaffen. Neben den hier aufgezeigten
Merkmalen ist für den Fachmann noch von Bedeutung, ob er eine sauer
aufgeschlossene oder eine alkalisch aufgeschlossene Gelatine verarbeitet.
Für die Herstellung von sauren Milcherzeugnissen eignet sich in jedem
Falle eine alkalisch aufgeschlossene Gelatine besser, da hier der pH-Wert
bei 4,5 bis 5,0 liegt. Im Gegensatz dazu hat die mit dem "sauren Verfahren"
hergestellte Gelatine meist einen höheren pH-Wert. Durch den unterschiedlichen
pH-Wert bedingt, liegt der isoelektrische Punkt bei sauren Gelatinesorten
bei ca. pH 8, während derselbe bei den im alkalischen Aufschluss produzierten
Gelatinesorten etwa bei einem pH-Wert um 5,0 liegt. Bei der Stabilisierung
von Emulsionen im pH-Bereich von 4,0 bis 4,5 ist insbesondere der isoelektrische
Punkt von sehr ausschlaggebender Bedeutung, da die Stabilitätswirkung
bei den alkalisch aufbereiteten Gelatinesorten erheblich günstiger ist.
Der isoelektrische Punkt der Milch mit dem pH von 4,62 und der der alkalisch
aufbereiteten Gelatine liegen somit eng beieinander. Auch die elektrische
Ladung der Gelatinemoleküle ist für die Stabilisierung der Emulsion
von ganz erheblicher Bedeutung, da diese oberhalb des IEP negativ geladen
und unterhalb des IEP positiv geladen sind. Das Casein der Milch ist bei
einem pH -Wert von 4,1 ebenfalls positiv geladen.
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